Über die Entstehung der Rheinromantik
Der Rheinlauf galt schon in der Antike als eine der wichtigsten Verkehrsachsen und Handelswege in Mitteleuropa. Er verbindet den Süden Europas mit dem Norden, bringt Reisende, Kaufleute, Soldaten und Handelswaren von den Alpen bis an die Nordsee. So abwechslungsreich und ansehnlich seine Einbettung in die Landschaft ist, fasziniert wohl kein Abschnitt mehr als das enge und von hohen, schroffen Klippen geprägte Obere Mittelrheintal.
Im Mittelalter war das Engtal hart umkämpft: Im Tauziehen um die lukrativen Zolleinnahmen der Rheinschifffahrt lagen sich die großen Kurfürstentümer Mainz, Trier und Köln aber auch das Reich oft feindlich gegenüber. Die unzähligen Burgen und Burgruinen zeugen noch heute vom großen Kräftemessen am Rhein und prägen mit ihrem Charme oder den romantischen Überformungen des 19. Jahrhunderts das Bild dieser einzigartigen Natur- und Kulturlandschaft.
Den Anfang der Rheinromantik findet man jedoch nicht im Mittelalter sondern erst zu Beginn der Industrialisierung am Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts. Vor allem Maler, Dichter und Musiker suchten im Rheintal die wilde, unverfälschte und ursprüngliche Natur, in einer Zeit in der die Industrie ganze Landschaftsstriche veränderte und Lebensräume unwiederbringlich zerstörte. Die Industriegesellschaft verdrängte in hohem Tempo viele der alten Werte und stieß tiefgreifende Umwälzungen im sozialen und wirtschaftlichen Bereich an. Am Mittelrhein fanden die Künstler und Schöngeister dieser Zeit sowohl eine raue, unverfälschte Natur als auch die „einfachen Menschen“ und das „einfache Leben“.
Die aufgeladene Geschichte des Oberen Mittelrheintals mit seinen altehrwürdigen Dörfern, Burgen und Schlössern, aber auch den zahlreichen Schauplätzen heftiger Auseinandersetzungen und Kriege übte ebenfalls ein große Anziehung auf die Reisenden aus. Viele deutsche Dichter und Künstler waren nichtzuletzt auf der Suche nach einer neuen nationalen Identität und konnten sich mit der Kulturlandschaft des Mittelrehintals auf ihre Wurzeln zurückbesinnen.
Frühe literarische Zeugnisse der „Romantisierung“ des Rheins finden sich bei Goethe, Hölderlin oder Heinrich von Kleist. Es waren jedoch die Briten, die den Romantischen Rhein früh über den deutschen Sprachraum hinaus bekanntmachten und damit den Grundstein für die touristische Erschließung des Tals legten. Bildungsreisen nach Italien waren im Empire des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Mode und viele dieser Reisen führten über den Rhein. Beflügelt durch die unberührte Schönheit heimischer Landschaften in Wales und Schottland bereisten Literaten wie Lord Byron oder Ann Radcliffe das Mittelrheintal und publizierten ihre Reisetagebücher. Auch die Autorin Mary Shelly reiste 1814 und 1816 auf dem Rhein. Beeindruckt von der idyllischen Flusslandschaft und seiner Geschichte siedelt sie später ihre Romanfigur Frankenstein im Rheinland an.
Die bekanntesten Sagengestalten am Rhein schufen wiederum deutsche Vertreter, allen voran Clemens Brentano 1801 mit seiner Figur der Lore-Ley. Weitere Verbreitung fand die Loreleysage durch Heinrich Heine gut 20 Jahre später. Er verarbeitete den Stoff 1824 in dem gleichnamigen Gedicht erneut – spätestens aber seit der Vertonung des Lieds von der Loreley von Friedrich Silcher 1837 ist die Sage um die schöne Nixe vom Rhein in aller Munde.
In der Malerei des frühen 19. Jahrhunderts gehörte der Engländer William Turner zu den wichtigsten Vertretern der romantischen Gattung. In seinen Aquarellen mit dramatischen Lichtstimmungen verstand er es wie kaum ein anderer, den künstlerischen Geist der Romantik und die romantische Stimmung am Rheinlauf einzufangen und eindrucksvoll wiederzugeben.
Die Rheinromantik ist keine Erfindung der Moderne und auch keine Erfindung einzelner Künstler oder Personengruppen. Es ist vielmehr die Rheinlandschaft selbst, mit ihrer rauen Schönheit und den unzähligen baulichen Zeugnissen vergangener Tage, die dem romantischen Ideal verträumter Dichter und Denker, Maler und Musiker des ausgehenden 18. Jahrhunderts entsprach. – Die Rheinromantik wurde nicht erfunden, sondern gefunden –
„Das ist eine Gegend wie ein Dichtertraum, und die üppigste Phantasie kann nichts Schöneres erdenken als dieses Tal, das sich bald öffnet, bald schließt, bald blüht, bald öde ist, bald lacht, bald erschreckt.“ (Heinrich von Kleist, 1801)
Der Geist der Rheinromantik kann an vielen Orten entlang des Mittelrheins, eingefangen und erfahren werden. Einen tiefergehenden Einblick in das Thema bieten z.B. die Dauerausstellung des Museums am Strom in Bingen, die Ausstellung im Stadtmuseum in Oberwesel oder die Erlebnisausstellung im Romanticum Koblenz. Ein Highlight der diesjährigen Ausstellungssaison wird sicherlich die Sonderschau – Des Königs Traum. Friedrich Wilhelm IV. und der romantische Rhein – vom 30. April bis 16. August im ARP Museum Bahnhof Rolandseck.