Unterwegs auf dem Niederwald
„Ich rathe jedem Reisenden, diese prächtigen Anlagen zu besehen …“. Den Tipp von Philipp Wilhelm Gercken aus dem Jahr 1786 mag man an heutige Besucher des Osteinschen Niederwaldes weiterreichen. Gerade eben beendeten die Schlösser und Gärten Hessen, das Land und der Bund eine umfassende Revitalisierung des Bergwaldes mit seinen gebauten Attraktionen. Jahrelang wurde geforscht, saniert und instandgesetzt. Nun ist der historische „Lustwald“ zwischen Rüdesheim und Assmannshausen erstmals seit dem Tod des Gründers wieder als Gartenkunstwerk des späten 18. Jahrhunderts zu erkennen.
Zuvor war der Wald vernachlässigt, die Gebäude in schlechtem Zustand und oft überformt, Graf Karl Maximilian von Ostein (1735-1809) nur eine wenig bekannte Personalie. Der Sinn und Wert seiner Schöpfung erschloss sich dem allgemeinen Publikum nicht mehr. Dabei hatte der reiche Spross eines Mainzer Adelsgeschlechts zu seiner Zeit das etwa 304 Hektar umfassende Buchen- und Eichenareal in einen überregional bekannten Anziehungspunkt verwandelt. Besucher strömten in Scharen in die Anlage mit ihren fantasievollen „Auszierungen“. Der Graf beförderte, wenn man so will, den frühen Tourismus am Rhein und gab noch der Romantik Impulse.
Von 1764 an ließ der gebildete Privatier mit Leidenschaft, Talent und ungeheuren Summen Geldes eine Sommerresidenz bauen, ein Wegenetz anlegen und liebevoll im Detail ausgestattete Staffagebauten setzen. Seine über Jahrzehnte gepflegte Herzensangelegenheit überformte den Niederwald nicht, wie es etwa für Landschaftsgärten typisch ist, sondern kehrte stattdessen dessen charakteristisches Gepräge hervor. Karl Maximilian lud den Wald mit Stimmungen sowie Bezügen zur Geschichte auf. Den Lustwandelnden bereitete er Überraschungen und sprach ihre Gefühle an.
Als Autodidakt der Landschaftskunst besaß der Reichsgraf einen fabelhaften Blick für die Potenziale der Natur. Sein nachhaltigster Kunstgriff war, das grandiose Rheinpanorama an das dunkle Gehölz zu binden. Das Gros der „Waldhäuser“, wie er sie nannte, besetzte Stellen mit Aussichten. Die Krümme des Rheins bescherte dramatisch wechselnde Bilder und seine Exzellenz wusste sie mit dem passenden Bautyp zu unterstreichen: Die Rheingauer Seite empfanden die Zeitgenossen als herrlich weit und paradiesisch. Wild und schauerlich-schön kam ihnen dagegen die Tal-Enge hinter dem Binger Loch vor. Wie inselartige Szenen liegen die noch erhaltenen Bauten an der Niederwälder Hangkante: der kleine Tempel, die künstliche Ruine Rossel oder die Klippe.
Informationen zu dem aktualisierten Kenntnisstand über das Osteinsche Gartendenkmal und den Erbauer sind inzwischen in Fülle abrufbar: An den Wegen des Niederwaldes wurden rot-silberne Stelen postiert, die mit kurzen Texten und Zitaten aus zeitgenössischen Reiseberichten die Kunst im Niederwald und die jeweiligen Stationen erläutern. Ein Flyer mit einer Orientierungskarte wird an die Hand gegeben, ebenso die neue, kostenlose „Niederwald-App“, die sich als digitaler Tourenguide anbietet.
Das im Sommer eröffnete Besucherzentrum an der Bergstation der Rüdesheimer Seilbahn führt mit einer Ausstellung in die Sehenswürdigkeiten des Niederwaldes ein. Am südlichen Eingang zum UNESCO-Welterbe Oberes Mittelrheintal bilden Sie einen erlebnisreichen Auftakt für jeden Rheinreisenden.
Wo?
Niederwald-Besucherzentrum
Am Niederwald 4
65385 Rüdesheim
Tel. 06722/ 402 38 97
Öffnungszeiten:
April – Oktober: täglich geöffnet von 10:00 – 20:00 Uhr
November – März: Mittwoch – Sonntag von 10:00 – 18:00 Uhr.
Fotos: ©Michael Leukel Photography